Kaum ein Schweizer Kanton offeriert derart viele Flugmöglichkeiten von recht einfach zu erreichenden Berggipfeln wie Glarus. Es muss ja nicht das Highlight Tädi sein, bieten sich doch etliche Voralpengipfel mit Höhendifferenzen zwischen 800 und 1800 Metern im absolut machbaren Bereich an. Für den 2283 Meter hohen Wiggis gilt es, knapp 1500 Meter zu überwinden.
Im Kanton Glarus gibt es weit höhere Gleitschirmstartplätze. Denken wir nur an den höchsten Glarner, den Tödi mit 3614 Metern, oder das 2904 Meter hohe Vrenelisgärtli im Glärnisch-Massiv. Beides sind jedoch Zweitagesunternehmen mit Übernachtung in der Fridolins bzw. Glärnischhütte. Wer lieber mit einer Eintagestour liebäugelt und entsprechend weniger Ausrüstung mitzuschleppen hat, ist mit einer ganzen Reihe von tiefer gelegenen Gipfelzielen bestens bedient. Die Wiggis -Tour mit Flug nach Netstal, Riedern oder Glarus hat es uns angetan. Ein ruhiger Herbsttag ist die beste Garantie für ein erfolgreiches Gelingen. Ausgangspunkt Klöntal westlich von Glarus.
General Suworow
Wer mit dem PW anreist, biegt in Riedern Richtung Klöntal ab. In gut zehn Minuten ist der Parkplatz unterhalb des Staudamms des 3,3 Quadratkilometer grossen Klöntalersees erreicht. Im Herbst ist da noch recht lange schattig, doch der «Wiggis-Hang» ist südlich exponiert, will heissen: T-Shirt bereithalten und Tranksame ganz oben im Packsack! Gleich nach dem Startpunkt auf 820 Metern gehts gleichmässig bergan; über Pauliberg (920 m) gewinnt man in den ersten Sonnenstrahlen rasch an Höhe. Mehr und mehr wird der Blick hinüber zum Vorder Glärnisch - auch ein toller Flugberg! - frei. Wir freuen uns an der Wärme und erreichen nach einem kurzen Schwatz mit einem Ferienhüttenbesitzer Planggen auf gut 1400 Metern. Ein Schluck aus der Flasche, dann gibts eine gut zehnminütige horizontale Querung, immer im 12-Gelände, bis der nächste steilere Aufschwung kommt. Nach etwa zwei Stunden ist die Alp Mittler Stafel auf 1706 Metern erreicht. Packsäcke deponieren, Aussicht geniessen, darüber plaudern, dass hier oben im Jahr 1799 französische Truppen gegen eine Armee des russischen Generals Suworow gekämpft haben. Unvorstellbar! Und wir mit unserem Sechs-Kilogramm-Rucksäcklein... Käme man direkt von Netstal via Unter Stafel hierher, würde sich die Gesamthöhendifferenz auf immerhin 1822 Meter belaufen. Wir halten Ausschau nach dem Weiterweg. Noch fehlen knapp 600 Meter Höhendifferenz. Schon bald geht der breite Weg in einen engen Geröllhaldenpfad über. Sagt doch einer meiner Mit-Hike-and-flyer: «Ändlich gohts oppsi!» Und ob! Die Landschaft hier oben ist karg, doch umso bizarrer. Felsformationen regen zum Staunen an, der Tief- und Rundblick ist phänomenal. Jetzt kommt wieder offeneres Gelände - der Gipfel des Wiggis ist zum Greifen nah. Mit dem Erreichen des 2282 Meter hohen obersten Punktes mit Kreuz ist das Glücksgefühl perfekt. Händedruck, Abwischen der Schweissperlen, Durchatmen, Geniessen.
Wehmütige Blicke der Wanderer
Gerade beim Eintreffen auf der höchsten Kuppe hebt ein Gleitschirm ab; macht schon bald Höhe, gleitet Richtung Wägital, kommt zurück und quert das Haupttal zum Fronalpstock hinüber. Und das im Oktober! Wir verpflegen uns, erkennen auf dem Nachbargipfel Rautispitz (2281 m, ebenfalls ein Flugberg, erreichbar vom nördlicher gelegenen Oberseetat) bestimmt an die 50 Personen. Was für ein Herbst... Die Sicht ist fast grenzenlos! Von diversen Gipfelbesuchern fürs Nicht-Hinunterlaufenmüssen bewundert, machen wir unsere Gleitschirme startbereit. Sogar der Wind stimmt. Wir können rückwärts aufziehen und in wenigen Sekunden sind alle drei Schirme in der Luft. «Jupii» hier, «Heissassa» dort. Und die wehmütigen Blicke der Wanderer... Wir können gut damit leben.
In der Tiefe liegt der Klöntalersee, dessen Wasser seit 1908 zur Energiegewinnung verwendet wird. Man versteht, wenn man lautlos über diesem besonderen Glarner Tal schwebt, dass Carl Spitteler einmal gesagt hat: «Wer seine Einsamkeit ein einziges Mal bei günstigem Licht geschaut, kann das Bild zeitlebens nicht mehr vergessen.»
Die Südflanke des Wiggis ist steil, mit Wäldern und Felswänden durchsetzt, und bietet auch im Herbst des Ottern brauchbare Thermik an; sanfte Herbstthermik eben. Bei genügend Höhe kann das breite Tal der Linth überflogen und zum Fronalpstock gegleitet werden, wo am Nachmittag die Chancen zum Soaren gar nicht schlecht stehen. Doch auch ein reiner 1500-Meter-Gleitflug hats in sich. Zur Auswahl stehen zig Landeplätze: Wer direkt beim Staudamm des Klöntalersees landen will (ca. 10 Minuten vom Parkplatz entfernt), muss gut einteilen. Die grossen Wiesen um das Dörfchen Riedern lassen viel mehr Spielraum zum Landen zu. Mit Autostopp ist man bald zurück beim Auto, zudem gibt es Postautokurse ins Klöntal. Wer dem Wiggis einen Besuch abgestattet hat, weiss eines: Ich komme bestimmt wieder! Einmal Wiggis, wieder Wiggis.
Hike & Fly Wiggis
Anreise: A3 Ausfahrt Glarus/Klausenpass, nach Netstal rechts ins Klöntal abbiegen, das Dorf Riedern passieren, von da 5 km bis Parkplatz 250 m vor Staudamm Klöntatersee.
Ausgangspunkt: Staudamm Klöntatersee, 850 m. Der Aufstieg im T2- Gelände dauert rund vier Stunden.
Höhenunterschied: 1462 m
Startrichtung: S/SE/SW
Startplatz: Startplatz 1 mittelsteile Wiese, kaum Steine, einfach. Startplatz 2 auch für Tandem gut.
Landeplatz: Riedern, grosse Wiesen südöstlich vom Dorf. Netstal, westlich vom Dorf. Beide Landeplätze sind einfach.
Flugalternativen: Gumen (2256 m) und Schijen (2258 m), beide westlich des Wiggis in derselben Kette. Vorder Glärnisch (2327 m) ab Schwammhöchi, ca. 4,5 Std. im T3-Gelände (nur wenn trocken!). Rautispitz (2283 m) vom Obersee aus in ca. 3 Stunden.
Infos: Gleitschirmclub Glarnerland www.gkg.ch, über die Region www.glarus.ch